Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Robert Louis Stevenson (Autor), Denis Metzger (Übersetzer)

Inhaltsangabe

Kapitel 10 Henry Jekylls vollständige Erklärung des Falls

Ich wurde im Jahre 18- mit einem großen Vermögen geboren. Außerdem mit ausgezeichneten Anlagen ausgestattet, von Natur aus zum Fleiß geneigt, dem Respekt der Weisen und Guten unter meinen Mitmenschen zugetan und somit, wie man hätte annehmen können, mit jeder Garantie für eine ehrenvolle und angesehene Zukunft.

Und in der Tat war der schlimmste meiner Fehler eine gewisse ungeduldige Fröhlichkeit des Gemüts, wie sie vielen zum Glück gereicht hat, die ich aber nur schwer mit meinem unbedingten Wunsch vereinbaren konnte, meinen Kopf hoch zu tragen und vor der Öffentlichkeit eine mehr als gewöhnlich Haltung zu zeigen.

So kam es, dass ich meine Vergnügungen verbarg, und dass ich, als ich in die Jahre der Besinnung kam und begann eine Bilanz meines Fortschritts und meiner Stellung in der Welt zu ziehen, bereits zu einer tiefen Doppelzüngigkeit meiner selbst verpflichtet war.

Manch einer hätte solche Regelwidrigkeiten, deren ich mich schuldig gemacht hatte, sogar gepriesen, aber wegen der hohen Ansprüche, die ich mir gestellt hatte, betrachtete und verbarg ich sie mit einem fast krankhaften Gefühl der Scham.

Es war also eher die anspruchsvolle Natur meiner Bestrebungen, als irgendeine besondere Herabwürdigung meiner Fehler, die mich zu dem machte, was ich war, und die, mit einem noch tieferen Graben als bei der Mehrzahl der Menschen, jene Provinzen des Guten und des Bösen in mir trennte, die die Doppelnatur des Menschen teilen und zusammensetzen.

In diesem Fall wurde ich dazu getrieben, tief und unerbittlich über jenes harte Gesetz des Lebens nachzudenken, das an der Wurzel der Religion liegt und eine der ergiebigsten Quellen des Kummers ist.

Obwohl ich ein so tiefsinniger Betrüger war, war ich in keiner Weise ein Heuchler. Beide Seiten von mir waren todernst. Ich war nicht weniger ich selbst, wenn ich die Hemmungen ablegte und mich in die Schande stürzte, als wenn ich mich im Angesicht des Tages für die Förderung der Erkenntnis oder die Linderung von Kummer und Leid einsetzte.

Es traf sich, dass die Richtung meiner wissenschaftlichen Studien, die gänzlich auf das Mystische und Transzendentale ausgerichtet waren, reagierte, und ein starkes Licht auf dieses Bewusstsein des immerwährenden Krieges unter meinen Gliedern warf.

Mit jedem Tag und von beiden Seiten meiner Intelligenz, der moralischen und der intellektuellen, kam ich so der Wahrheit immer näher, durch deren teilweise Entdeckung ich zu einem so schrecklichen Schiffbruch verurteilt worden war: dass der Mensch nicht wahrlich eins, sondern wahrlich zwei ist.

Ich sage zwei, weil der Stand meiner eigenen Erkenntnis nicht über diesen Punkt hinausgeht.

Andere werden folgen. Andere werden mich in der gleichen Richtung überholen, und ich wage die Vermutung, dass der Mensch schließlich als ein bloßes Gemeinwesen von vielfältigen, unvereinbaren und unabhängigen Bewohnern bekannt sein wird.

Ich, für meinen Teil, habe mich von der Natur meines Lebens her unfehlbar in eine Richtung, und nur in eine Richtung entwickelt.

Es war auf der moralischen Seite und in meiner eigenen Person, dass ich lernte, die vollständige und primitive Dualität des Menschen zu erkennen. Ich erkannte, dass zwei Veranlagungen in meinem Bewusstsein konkurrierten. Und selbst, wenn man mich richtigerweise als eine von beiden bezeichnen könnte, dann nur, weil ich beide war. Und von einem frühen Zeitpunkt an, sogar bevor der Verlauf meiner wissenschaftlichen Entdeckungen begonnen hatte die nackte Möglichkeit eines solchen Wunders anzudeuten, hatte ich gelernt, mit Vergnügen, wie ein geliebter Tagtraum, bei dem Gedanken der Trennung dieser Elemente zu verweilen.

Wenn beide, so sagte ich mir, in getrennten Identitäten untergebracht werden könnten, wäre das Leben von allem Unerträglichen befreit. Der Ungerechte könnte seinen Weg gehen, befreit von den Bestrebungen und Gewissensbissen seines rechtschaffenen Zwillings, und der Gerechte könnte unerschütterlich und sicher auf seinem aufsteigenden Pfad wandeln, die guten Dinge tun, an denen er sein Vergnügen fand, und nicht länger der Schande und Reue durch die Hände dieses fremden Übels ausgesetzt sein.

Es war der Fluch der Menschheit, dass diese nicht zu vereinbarenden Seelen auf diese Weise aneinander gebunden waren – dass diese polaren Zwillinge im gequälten Schoß des Bewusstseins ständig miteinander rangen.

Wie konnten sie sich also voneinander trennen?

Ich war so weit in meinen Überlegungen, als, wie ich schon sagte, vom Labortisch aus ein Licht auf das Thema zu scheinen begann.

Ich begann, die zitternde Immaterialität, die nebelhafte Vergänglichkeit dieses scheinbar so festen Körpers, in dem wir uns bewegen, tiefer wahrzunehmen, als es je verkündet worden war.

Ich fand heraus, dass bestimmte Wirkstoffe die Macht haben, dieses fleischliche Gewand zu schütteln und zurückzureißen, so wie ein Wind die Vorhänge eines Pavillons umherwirft.

Aus zwei guten Gründen werde ich diesen wissenschaftlichen Zweig meines Bekenntnisses nicht näher ausführen.

Erstens, weil ich lernen musste, dass das Schicksal und die Last unseres Lebens für immer auf den Schultern des Menschen lastet, und wenn man versucht sie abzuwerfen, kehrt sie nur mit einem noch ungewohnteren und schrecklicheren Druck zu uns zurück.

Zweitens, weil meine Entdeckungen unvollständig waren; wie meine Erzählung leider nur zu deutlich machen wird.

Nicht nur, dass ich meinen natürlichen Körper aus der bloßen Aura und dem Glanz bestimmter Kräfte, die meinen Geist ausmachten, erkannte, sondern es gelang mir, ein Mittel zusammenzusetzen, durch das diese Kräfte von ihrer Vorherrschaft entthront und durch eine zweite Form und ein zweites Antlitz ersetzt werden sollten, die für mich nicht weniger natürlich waren, weil sie der Ausdruck und das Gepräge niederer Elemente in meiner Seele waren.

Ich habe lange gezögert, bevor ich diese Theorie in der Praxis erprobt habe. Ich wusste sehr wohl, dass ich den Tod riskierte; denn jede Droge, die die Festung der Identität so stark kontrollierte und erschütterte, konnte beim geringsten Zweifel einer Überdosis oder bei der geringsten Ungelegenheit im Moment der Darbietung, das immaterielle Tabernakel, das ich durch sie zu verändern hoffte, völlig auslöschen. Aber die Verlockung einer so einzigartigen und tiefgründigen Entdeckung überwog schließlich die Befürchtungen. Ich hatte meine Tinktur schon lange vorbereitet. Ich kaufte sofort bei einem Großapotheker eine große Menge eines bestimmten Salzes, von dem ich aus meinen Experimenten wusste, dass es die letzte Zutat war, die ich brauchte, und spät in einer verwünschten Nacht mischte ich die Elemente zusammen, sah zu, wie sie zusammen im Glas kochten und rauchten, und als das Sieden abgeklungen war, trank ich den Trank mit einer starken Glut des Mutes aus.

Es folgten die schlimmsten Qualen: ein Knirschen in den Knochen, tödliche Übelkeit und ein Entsetzen des Geistes, das in der Stunde der Geburt oder des Todes nicht übertroffen werden kann. Dann ließen diese Qualen rasch nach, und ich kam zu mir, als ob ich von einer großen Krankheit befreit wäre. Meine Empfindungen hatten etwas Seltsames an sich, etwas unbeschreiblich Neues und, gerade weil es neu war, etwas unglaublich Süßes. Ich fühlte mich jünger, leichter, glücklicher im Körper. Im Innern war ich mir eines berauschenden Leichtsinns bewusst. Eines Stroms ungeordneter sinnlicher Bilder, die wie ein Mühlrad in meiner Fantasie liefen, einer Lösung von den Fesseln der Verpflichtung, einer unbekannten, aber nicht unschuldigen Freiheit der Seele. Ich wußte, dass ich mit dem ersten Atemzug dieses neuen Lebens noch böser, zehnmal böser, als Sklave meines ursprünglichen Bösen verkauft war, und der Gedanke daran beflügelte und erfreute mich in diesem Augenblick wie Wein. Ich streckte meine Hände aus, frohlockend in der Frische dieser Empfindungen, und bei diesem Akt wurde mir plötzlich bewusst, dass ich an Größe verloren hatte.

Damals gab es in meinem Zimmer keinen Spiegel. Der, der neben mir steht während ich schreibe, wurde erst später und nur zum Zweck dieser Verwandlungen dorthin gebracht. Die Nacht war jedoch schon weit in den Morgen hineingegangen – der Morgen, so schwarz er auch war, war fast reif für die Empfängnis des Tages – die Bewohner meines Hauses waren in den strengsten Stunden des Schlummers eingeschlossen, und ich beschloss, errötet von Hoffnung und Triumph, mich in meiner neuen Gestalt bis zu meinem Schlafzimmer zu wagen. Ich überquerte den Hof, von dem aus die Sternbilder auf mich herabblickten, und hätte mit Erstaunen denken können, dass ich das erste Geschöpf dieser Art war, das ihre schlaflose Wachsamkeit ihnen bisher enthüllt hatte. Ich stahl mich durch die Korridore, ein Fremder in meinem eigenen Haus, und als ich in mein Zimmer kam, sah ich zum ersten Mal die Erscheinung von Edward Hyde.

Ich muss hier nur theoretisch sprechen und nicht das sagen, was ich weiß, sondern das, was ich für am wahrscheinlichsten halte. Die böse Seite meiner Natur, der ich nun die prägende Wirkungskraft übertragen hatte, war weniger stark und weniger entwickelt als die gute, die ich soeben abgelegt hatte. Auch war sie im Laufe meines Lebens, das ja zu neun Zehnteln ein Leben der Anstrengung, der Tugend und der Beherrschung gewesen war, viel weniger trainiert und viel weniger verbraucht worden. Und daher kam es, wie ich glaube, dass Edward Hyde so viel kleiner, schmächtiger und jünger war als Henry Jekyll. So wie das Gute im Antlitz des einen leuchtete, so stand das Böse breit und deutlich im Gesicht des anderen geschrieben. Das Böse (das ich immer noch für die todbringende Seite des Menschen halte) hatte auf diesem Körper einen Abdruck von Missbildung und Verfall hinterlassen. Und doch, als ich dieses hässliche Idol im Glas betrachtete, war ich mir keiner Abneigung bewusst, eher eines Sprungs des Willkommens. Auch das war ich selbst. Es schien natürlich und menschlich. In meinen Augen trug es ein lebendigeres Abbild des Geistes. Es schien ausdrücklicher und einheitlicher zu sein als das unvollkommene und gespaltene Antlitz, das ich bis dahin gewohnt war, das meine zu nennen. Und in dieser Hinsicht hatte ich zweifellos recht. Ich habe beobachtet, dass, als ich die Gestalt von Edward Hyde trug, sich mir zunächst niemand nähern konnte, ohne dass er ein sichtbares Misstrauen gegenüber dem Fleisch empfand. Ich glaube, das lag daran, dass alle Menschen, denen wir begegnen, eine Mischung aus Gut und Böse sind, und Edward Hyde, der Einzige in den Reihen der Menschheit war, der das reine Böse verkörperte.

Ich verweilte nur einen Augenblick vor dem Spiegel: das zweite und endgültige Experiment musste noch versucht werden. Es musste sich noch herausstellen, ob ich meine Identität unwiederbringlich verloren hatte und vor Tagesanbruch aus einem Haus fliehen musste, das nicht mehr das meine war. Ich eilte zurück in mein Kabinett, bereitete erneut den Becher zu und trank ihn, erlitt erneut die Schmerzen der Auflösung und kam erneut mit dem Charakter, der Statur und dem Gesicht von Henry Jekyll zu mir.

In dieser Nacht war ich an den verhängnisvollen Scheideweg gekommen. Wäre ich mit einem edleren Geist an meine Entdeckung herangegangen, hätte ich das Experiment unter der Herrschaft großzügiger oder frommer Bestrebungen gewagt, so wäre alles anders gekommen, und aus diesen Todes- und Geburtsqualen wäre ich als Engel statt als Unhold hervorgegangen. Die Droge hatte keine diskriminierende Wirkung. Sie war weder teuflisch noch göttlich. Sie rüttelte nur an den Türen des Gefängnisses meiner Veranlagung, und wie die Gefangenen von Philippi: was darin war, lief heraus. Zu dieser Zeit schlummerte meine Tugend. Mein Böses, vom Ehrgeiz wachgehalten, war wachsam und schnell, um die Gelegenheit zu ergreifen, und das Ding, das entworfen wurde, war Edward Hyde. Obwohl ich nun zwei Persönlichkeiten, und zwei Erscheinungen hatte, war der eine ganz und gar böse, und der andere war immer noch der alte Henry Jekyll; diese unvereinbare Mischung, an deren Erneuerung und Verbesserung ich bereits zu verzweifeln gelernt hatte. Die Entwicklung war also ganz und gar zum Schlechten.

Selbst zu dieser Zeit hatte ich meine Abneigung gegen die Trockenheit des Studiums noch nicht überwunden. Zuweilen war ich immer noch fröhlich, und da meine Vergnügungen (gelinde gesagt) würdelos waren und ich nicht nur bekannt und hoch angesehen war, sondern mich auch immer mehr zum älteren Mann entwickelte, wurde diese Unvereinbarkeit meines Lebens immer unwillkommener. Auf dieser Seite verführte mich meine neue Macht, bis ich in die Sklaverei fiel. Ich brauchte nur den Kelch zu trinken, den Körper des berühmten Professors abzulegen und wie einen dicken Mantel den von Edward Hyde anzunehmen. Ich lächelte über diese Vorstellung, die mir damals sehr humorvoll erschien, und traf meine Vorbereitungen mit größter Sorgfalt. Ich nahm das Haus in Soho, in dem Hyde von der Polizei aufgespürt worden war, und richtete es ein. Als Haushälterin stellte ich eine Person ein, von der ich wusste, dass sie still und skrupellos war. Auf der anderen Seite kündigte ich meinen Bediensteten an, dass ein Mr. Hyde (den ich beschrieben hatte) in meinem Haus am Platz volle Freiheit und Macht haben sollte, und um Missgeschicke zu vermeiden, rief ich sogar mich selbst an und machte mich zu einem vertrauten Objekt, in meiner zweiten Rolle. Als Nächstes setzte ich das Testament auf, gegen das Sie so viel einzuwenden hatten, sodass ich, falls mir in der Person von Dr. Jekyll etwas zustoßen sollte, ohne finanziellen Verlust in die von Edward Hyde eintreten konnte. Auf diese Weise in jeder Hinsicht gestärkt, wie ich annahm, begann ich, von den seltsamen Vorteilen meiner Position zu profitieren.

Männer haben schon früher Banditen angeheuert, um ihre Verbrechen zu begehen, während ihre eigene Person und ihr Ruf geschützt waren. Ich war der erste, der dies zu seinem Vergnügen tat. Ich war der erste, der sich in der Öffentlichkeit mit einer Ladung genialer Ehrbarkeit abmühen konnte, um im nächsten Moment wie ein Schuljunge diese Verleihungen abzustreifen und sich kopfüber in das Meer der Freiheit zu stürzen. Aber für mich, in meiner undurchdringlichen Hülle, war die Sicherheit vollkommen. Stellen Sie sich vor – ich existierte nicht einmal! Lasst mich nur durch die Tür meines Labors entkommen, gebt mir nur ein oder zwei Sekunden, um den Trank zu mischen und zu schlucken, den ich immer parat hatte, und was auch immer er getan hatte, Edward Hyde würde verschwinden wie der Fleck des Hauchs auf einem Spiegel, und an seiner Stelle, ruhig zu Hause, die Mitternachtslampe in seinem Arbeitszimmer anzündend, würde ein Mann stehen, der es sich leisten konnte, über den Verdacht zu lachen – Henry Jekyll.

Die Vergnügungen, die ich in meiner Verkleidung eilig suchte, waren, wie ich schon sagte, würdelos; ich würde kaum einen härteren Ausdruck verwenden. Aber in den Händen von Edward Hyde begannen sie sich bald ins Ungeheuerliche zu wenden. Wenn ich von diesen Ausflügen zurückkam, war ich oft von einer Art Verwunderung über meine stellvertretende Verdorbenheit ergriffen. Dieser Vertraute, den ich aus meiner eigenen Seele herausgerufen und allein ausgesandt hatte, um ihm Gutes zu tun, war ein Wesen, das von Natur aus bösartig und niederträchtig war. Jede Handlung und jeder Gedanke drehte sich um ihn selbst. Er vergnügte sich mit bestialischer Gier an jedem Grad von Folter. Er war unerbittlich wie ein Mann aus Stein. Henry Jekyll stand zuweilen entsetzt vor den Taten von Edward Hyde, aber die Situation war außerhalb der gewöhnlichen Gesetze und lockerte schleichend den Griff des Gewissens. Schließlich war es Hyde, und nur Hyde, der schuldig war. Jekyll ging es nicht schlechter. Er erwachte wieder mit seinen guten Eigenschaften, die scheinbar unbeeinträchtigt waren. Er würde sich sogar beeilen, wo es möglich war, das von Hyde begangene Übel ungeschehen zu machen. Und so schlummerte sein Gewissen.

In die Einzelheiten der Schandtat, die ich auf diese Weise beging, will ich nicht eindringen (denn selbst jetzt kann ich kaum zugeben, dass ich sie begangen habe). Ich will nur die Warnungen und die aufeinanderfolgenden Schritte aufzeigen, mit denen sich meine Bestrafung näherte. Ich hatte einen Unfall, den ich, da er keine Folgen hatte, nur erwähnen will. Eine Grausamkeit gegen ein Kind erregte den Zorn eines Passanten gegen mich, den ich neulich in der Person Ihres Verwandten erkannte. Der Arzt und die Familie des Kindes schlossen sich ihm an. Es gab Momente, in denen ich um mein Leben fürchtete, und schließlich musste Edward Hyde, um ihren allzu gerechten Groll zu besänftigen, sie zur Tür bringen und sie mit einem, auf den Namen Henry Jekyll ausgestellten, Scheck bezahlen. Aber diese Gefahr ließ sich für die Zukunft leicht ausschalten, indem ich bei einer anderen Bank ein Konto auf den Namen von Edward Hyde selbst eröffnete, und als ich, indem ich meine eigene Hand nach hinten schob, meinen Doppelgänger mit einer Unterschrift versehen hatte, glaubte ich, dem Schicksal entronnen zu sein.

Etwa zwei Monate vor der Ermordung von Sir Danvers war ich zu einem meiner Abenteuer ausgegangen, zu später Stunde zurückgekehrt, und am nächsten Tag mit einem etwas seltsamen Gefühl im Bett aufgewacht. Vergeblich schaute ich mich um; vergeblich sah ich die anständigen Möbel und die großen Proportionen meines Zimmers am Platz; vergeblich erkannte ich das Muster der Bettvorhänge und das Design des Mahagoni-Rahmens. Etwas beharrte immer noch darauf, dass ich nicht war, wo ich war, dass ich nicht dort aufgewacht war, wo ich zu sein schien, sondern in dem kleinen Zimmer in Soho, wo ich gewohnt war, im Körper von Edward Hyde zu schlafen. Ich lächelte vor mich hin und begann auf meine psychologische Art, die Elemente dieser Illusion zu erforschen, wobei ich gelegentlich sogar in einen angenehmen Morgenschlaf fiel. Ich war immer noch so beschäftigt, als in einem meiner wacheren Momente mein Blick auf meine Hand fiel. Nun war die Hand von Henry Jekyll (wie Sie schon oft bemerkt haben) von professioneller Form und Größe: Sie war groß, fest, weiß und anmutig. Aber die Hand, die ich jetzt im gelben Licht eines Londoner Morgens, halb geschlossen auf dem Bettzeug liegend, deutlich genug sah, war schlank, geschnürt, knöcherig, von düsterer Blässe und dicht mit einem dunklen Haarwuchs beschattet. Es war die Hand von Edward Hyde.

Ich muss wohl fast eine halbe Minute lang darauf gestarrt haben, versunken in der bloßen Dummheit des Staunens, bevor der Schrecken in meiner Brust so plötzlich und erschreckend wie ein Beckenschlag erwachte. Ich sprang vom Bett auf und eilte zum Spiegel. Bei dem Anblick, der sich mir bot, verwandelte sich mein Blut in etwas auserlesenes Dünnes und Eisiges. Ja, ich war als Henry Jekyll zu Bett gegangen und hatte Edward Hyde geweckt. Wie war das zu erklären? fragte ich mich, und dann, mit einem weiteren Anflug von Schrecken – wie sollte das wieder behoben werden? Es war schon früh am Morgen; die Dienerschaft war aufgestanden; alle meine Medikamente waren im Kabinett – ein langer Weg über zwei Treppenpaare, durch den hinteren Gang, über den offenen Hof und durch den Operationssaal, vor dem ich dann entsetzt stand. Es wäre zwar möglich, mein Gesicht zu verhüllen, aber was nützte das, wenn ich die Veränderung meiner Statur nicht verbergen konnte? Und dann fiel mir mit einer überwältigenden Süße der Erleichterung wieder ein, dass die Dienerschaft bereits an das Kommen und Gehen meines zweiten Ichs gewöhnt war. Bald hatte ich mich, so gut es ging, in Kleider meiner eigenen Größe gekleidet; bald war ich durch das Haus gegangen, wo Bradshaw starrte und zurückwich, weil er Mr. Hyde zu solcher Stunde und in so seltsamer Aufmachung sah, und zehn Minuten später hatte Dr. Jekyll wieder seine eigene Gestalt angenommen und saß mit verfinsterter Stirn da, um so zu tun, als würde er frühstücken.

Mein Appetit war in der Tat gering. Dieser unerklärliche Vorfall, diese Wendung meiner bisherigen Erfahrungen, schien wie der babylonische Finger an der Wand die Buchstaben meines Urteils zu buchstabieren, und ich begann, ernster als je zuvor über die Probleme und Möglichkeiten meines Doppellebens nachzudenken. Der Teil von mir, den ich zu projizieren vermochte, war in letzter Zeit viel trainiert und genährt worden. Es war mir in letzter Zeit so vorgekommen, als sei der Körper von Edward Hyde gewachsen, als sei ich mir (wenn ich diese Gestalt trug) einer großzügigeren Strömung des Blutes bewußt, und ich begann, die Gefahr zu erahnen, dass, wenn dies länger andauerte, das Gleichgewicht meiner Natur dauerhaft umgestoßen werden könnte, die Macht der freiwilligen Veränderung verloren ginge und der Charakter von Edward Hyde unwiderruflich der meine würde. Die Kraft der Droge war nicht immer gleich stark ausgeprägt. Einmal, sehr früh in meiner Laufbahn, hatte sie mich völlig im Stich gelassen. Seitdem war ich mehr als einmal gezwungen gewesen, die Menge zu verdoppeln, und einmal, unter unendlicher Todesgefahr, sogar zu verdreifachen, und diese seltene Ungewissheit hatte bis jetzt den einzigen Schatten auf meine Zufriedenheit geworfen. Nun jedoch, im Lichte des Unfalls von heute Morgen, sah ich mich veranlasst, zu bemerken, dass die Schwierigkeit anfangs darin bestanden hatte, den Körper von Jekyll abzuwerfen, und dass sie sich in letzter Zeit, allmählich aber entschieden, auf die andere Seite verlagert hatte. Alles schien also darauf hinzudeuten, dass ich langsam mein ursprüngliches und besseres Selbst verlor und mich langsam mit meinem zweiten und schlechteren vereinigte.

Ich hatte nun das Gefühl, mich zwischen diesen beiden entscheiden zu müssen. Meine beiden Veranlagungen hatten das Gedächtnis gemeinsam, aber alle anderen Fähigkeiten waren höchst ungleich zwischen ihnen verteilt. Jekyll (der zusammengesetzt war), mal mit den heikelsten Befürchtungen, mal mit gieriger Begeisterung, plante und teilte die Vergnügungen und Abenteuer von Hyde, aber Hyde war Jekyll gegenüber gleichgültig, oder er erinnerte sich an ihn, wie der Bergräuber sich an die Höhle erinnert, in der er sich vor der Verfolgung versteckt. Jekyll hatte mehr als nur das Interesse eines Vaters. Hyde hatte mehr als nur die Gleichgültigkeit eines Sohnes. Mein Schicksal mit Jekyll zu teilen, bedeutete, die Begierden zu begraben, denen ich lange Zeit heimlich gefrönt und die ich in letzter Zeit zu verwöhnen begonnen hatte. Es mit Hyde zu teilen bedeutete, tausend Interessen und Bestrebungen aufzugeben und mit einem Schlag und für immer verachtet und freundlos zu werden. Der Handel mochte ungleich erscheinen, aber es lag noch eine andere Überlegung in der Waagschale; denn während Jekyll in den Feuern der Enthaltsamkeit schwer leiden würde, wäre sich Hyde nicht einmal bewusst, was er alles verloren hätte. So seltsam meine Umstände auch waren, die Bedingungen dieser Debatte sind so alt und alltäglich wie die Menschheit. Dieselben Anreize und Alarme sind es, die für jeden versuchten und zitternden Sünder den Ausschlag geben, und wie bei der überwiegenden Mehrheit meiner Mitmenschen war es auch bei mir so, dass ich den besseren Teil wählte und es mir an Kraft fehlte, ihn zu halten.

Ja, ich zog den älteren und unzufriedenen Arzt vor, der von Freunden umgeben war und ehrliche Hoffnungen hegte, und ich nahm entschlossen Abschied von der Freiheit, der relativen Jugend, dem leichten Schritt, den sprunghaften Impulsen und den heimlichen Vergnügungen, die ich in der Verkleidung als Hyde genossen hatte. Ich traf diese Entscheidung vielleicht mit einem unbewussten Vorbehalt, denn ich gab weder das Haus in Soho auf, noch vernichtete ich die Kleider von Edward Hyde, die noch immer in meinem Kabinett bereitlagen. Zwei Monate lang blieb ich jedoch meinem Entschluss treu. Zwei Monate lang führte ich ein Leben von solcher Strenge, wie ich es nie zuvor erreicht hatte, und genoss die Entschädigungen eines wohlwollenden Gewissens. Aber die Zeit begann schließlich die Frische meines Schreckens zu verwischen. Die Lobpreisungen des Gewissens begannen zu einer Selbstverständlichkeit zu werden. Ich begann, von Qualen und Sehnsüchten gefoltert zu werden, als würde Hyde, nach Freiheit ringen, und schließlich, in einer Stunde moralischer Schwäche, mischte und schluckte ich den verwandelnden Trank erneut.

Ich glaube nicht, dass ein Trinker, wenn er mit sich selbst über sein Laster argumentiert, auch nur ein einziges von fünfhundert Malen von den Gefahren betroffen ist, die er durch seine brutale, körperliche Unempfindlichkeit eingeht. Auch ich hatte, wenn ich meine Lage bedachte, die völlige moralische Unempfindlichkeit und die unempfindliche Bereitschaft zum Bösen, die die Hauptmerkmale von Edward Hyde waren, nicht genügend berücksichtigt. Und doch wurde ich gerade dadurch bestraft. Mein Teufel war lange eingesperrt gewesen, er kam brüllend heraus. Ich war mir, sogar bei der Einnahme des Tranks, einer ungezügelteren, wütenderen Neigung zum Bösen bewusst. Das war es wohl, was in meiner Seele jenen Sturm der Ungeduld erregte, mit dem ich die Höflichkeiten meines unglücklichen Opfers anhörte. Ich erkläre, zumindest vor Gott, dass kein geistig gesunder Mensch sich bei einer so kläglichen Provokation dieses Verbrechens hätte schuldig machen können, und dass ich in keinem vernünftigeren Geist zuschlug als dem, in dem ein krankes Kind ein Spielzeug zerbricht. Aber ich hatte mich freiwillig all jener ausgleichenden Instinkte entledigt, durch die selbst der Schlimmste unter uns mit einem gewissen Grad an Standhaftigkeit zwischen den Versuchungen wandelt, und in meinem Fall bedeutete die Versuchung, wie gering sie auch sein mochte, zu fallen.

Augenblicklich erwachte der Geist der Hölle in mir und wütete. Mit einem Anflug von Frohsinn zerfleischte ich den widerstandslosen Körper und genoss jeden Schlag, und erst als die Müdigkeit überhand nahm, wurde ich auf dem Höhepunkt meines Deliriums plötzlich von einem kalten Schauer des Schreckens mitten ins Herz getroffen. Ein Nebel zerstreute sich. Ich sah mein Leben verwirkt, und floh vom Schauplatz dieser Exzesse, zugleich frohlockend und zitternd, meine Lust am Bösen befriedigt und stimuliert, meine Liebe zum Leben bis zum höchsten Zapfen geschraubt. Ich eilte zu dem Haus in Soho und vernichtete (um mich doppelt zu versichern) meine Papiere. Von dort aus ging ich durch die erleuchteten Straßen, in der gleichen gespaltenen Ekstase des Geistes, schadenfroh über mein Verbrechen, fantasierend andere in der Zukunft planend, und doch immer noch eilend und lauschend auf die Schritte des Rächers. Hyde hatte ein Lied auf den Lippen, als er den Trank zusammenstellte, und als er ihn trank, trank er auf den Toten. Die Schmerzen der Verwandlung hatten noch nicht aufgehört ihn zu zerreißen, als Henry Jekyll mit Tränen der Dankbarkeit und Reue auf die Knie fiel und seine gefalteten Hände zu Gott erhob. Der Schleier der Selbstnachsicht war von Kopf bis Fuß zerrissen. Ich sah mein Leben in seiner Gesamtheit. Ich verfolgte es von den Kindheitstagen an, als ich an der Hand meines Vaters gegangen war, und durch die selbstverleugnenden Mühen meines Berufslebens, um immer wieder mit demselben Gefühl der Unwirklichkeit bei den verdammten Schrecken des Abends anzukommen. Ich hätte laut schreien können. Ich versuchte, mit Tränen und Gebeten die Menge der abscheulichen Bilder und Geräusche zu ersticken, mit denen mein Gedächtnis mich überschwemmte, und immer noch starrte zwischen den Bitten das hässliche Gesicht meiner Schuld in meine Seele. Als die Schärfe dieser Gewissensbisse nachzulassen begann, wurde sie von einem Gefühl der Freude abgelöst. Das Problem meines Gebarens war gelöst. Hyde war von nun an unmöglich. Ob ich wollte oder nicht, ich war nun auf den besseren Teil meines Daseins beschränkt, und O, wie freute ich mich bei dem Gedanken daran! Mit welcher willigen Demut ich von neuem die Beschränkungen des natürlichen Lebens annahm! Mit welcher aufrichtigen Entsagung ich die Tür verschloss, durch die ich so oft gegangen und gekommen war, und den Schlüssel unter meinem Absatz zermalmte!

Am nächsten Tag kam die Nachricht, dass der Mord nicht übersehen worden war, dass die Schuld von Hyde für die Welt offenkundig war, und dass das Opfer ein Mann war, der in der Öffentlichkeit hohes Ansehen genoss. Es war nicht nur ein Verbrechen, es war eine tragische Torheit gewesen. Ich glaube, ich war froh, das zu wissen. Ich glaube, ich war froh, dass meine besseren Impulse durch die Schrecken des Schafotts gestärkt und geschützt wurden. Jekyll war jetzt meine Zufluchtsstadt. Ließ man Hyde nur einen Augenblick hervorlugen, so würden alle Menschen die Hände erheben, um ihn zu ergreifen und zu erschlagen.

Ich habe mir vorgenommen, durch mein künftiges Verhalten das Vergangene wiedergutzumachen, und ich kann mit Fug und Recht sagen, dass mein Entschluss Gutes bewirkt hat. Sie wissen selbst, wie ernsthaft ich mich in den letzten Monaten des vergangenen Jahres bemüht habe, Leiden zu lindern. Sie wissen, dass viel für andere getan wurde und dass die Tage für mich selbst ruhig und fast glücklich verliefen. Ich kann auch nicht behaupten, dass ich dieses wohltätige und unschuldige Leben satt hatte. Ich glaube vielmehr, dass ich es jeden Tag mehr genoss, aber ich war immer noch verflucht mit meiner Zwiespältigkeit. Und als die erste Schärfe meiner Reue nachließ, begann die niedere Seite in mir, die so lange gefrönt und vor kurzem in Ketten gelegt worden war, nach Erlaubnis zu schreien. Nicht, dass ich davon träumte, Hyde wiederzubeleben. Der bloße Gedanke daran würde mich in Raserei versetzen: nein, es war in meiner eigenen Person, dass ich wieder einmal versucht war, mit meinem Gewissen zu spielen, und es war als ein gewöhnlicher heimlicher Sünder, dass ich schließlich vor den Angriffen der Versuchung fiel.

Alles hat einmal ein Ende, auch das größte Maß ist einmal voll, und diese kurze Herablassung zu meinem Bösen hat schließlich das Gleichgewicht meiner Seele zerstört. Und doch war ich nicht beunruhigt. Der Sturz erschien mir natürlich, wie eine Rückkehr zu den alten Tagen, bevor ich meine Entdeckung gemacht hatte. Es war ein schöner, klarer Januartag. Feucht unter den Füßen, wo der Frost geschmolzen war, aber wolkenlos über dem Himmel, und der Regent’s Park war voll von Wintergezwitscher und süß von Frühlingsdüften. Ich saß in der Sonne auf einer Bank. Das Tier in mir leckte die Koteletts der Erinnerung. Die geistige Seite war ein wenig schläfrig und versprach anschließende Buße, war aber noch nicht bereit, damit zu beginnen. Schließlich, so überlegte ich, war ich wie meine Nachbarn, und dann lächelte ich und verglich mich mit anderen Menschen, verglich mein aktives gutes Wohlwollen mit der faulen Grausamkeit ihrer Vernachlässigung. Und im selben Augenblick dieses eitlen Gedankens überkam mich ein Unwohlsein, eine schreckliche Übelkeit und ein tödlicher Schauer. Diese verflüchtigten sich und ließen mich ohnmächtig zurück, und als die Ohnmacht ihrerseits nachließ, begann ich eine Veränderung in der Stimmung meiner Gedanken zu bemerken, eine größere Kühnheit, eine Verachtung der Gefahr, eine Lösung von den Fesseln der Verpflichtung. Ich blickte nach unten. Meine Kleider hingen formlos an meinen geschrumpften Gliedern. Die Hand, die auf meinem Knie lag, war knochig und behaart. Wieder einmal war ich Edward Hyde. Eben noch war ich mir des Respekts aller Menschen sicher gewesen: wohlhabend, geliebt – das Tischtuch lag im Esszimmer zu Hause bereit, und jetzt war ich die gewöhnliche Beute der Menschheit. Gejagt, obdachlos, ein bekannter Mörder, dem Galgen ausgeliefert.

Mein Verstand schwankte, aber er ließ mich nicht völlig im Stich. Ich habe mehr als einmal beobachtet, dass in meinem zweiten Charakter meine Fähigkeiten bis zu einem Punkt geschärft und mein Geist elastischer zu sein schien. So kam es, dass, wo Jekyll vielleicht erlegen wäre, Hyde sich der Bedeutung des Augenblicks gewachsen sah. Meine Medikamente befanden sich in einer der Schränke meines Kabinetts; wie sollte ich sie erreichen? Das war das Problem, das ich (meine Schläfen in den Händen zerquetschend) zu lösen versuchte. Die Tür zum Labor hatte ich geschlossen. Wenn ich versuchte, durch das Haus einzutreten, würden mich meine eigenen Bediensteten an den Galgen bringen. Ich sah, dass ich eine andere Hand brauchen würde, und dachte an Lanyon. Wie sollte ich ihn erreichen? Wie überreden? Angenommen, ich würde der Gefangennahme auf der Straße entgehen, wie sollte ich dann zu ihm vordringen? Und wie sollte ich, ein unbekannter und unliebsamer Besucher, den berühmten Arzt dazu bringen, das Arbeitszimmer seines Kollegen Dr. Jekyll zu durchwühlen? Dann erinnerte ich mich daran, dass mir von meiner ursprünglichen Rolle ein Teil geblieben war. Ich konnte mit meiner eigenen Hand schreiben, und sobald ich diesen zündenden Funken begriffen hatte, wurde der Weg, den ich gehen musste, von Anfang bis Ende erleuchtet.

Daraufhin ordnete ich meine Kleider, so gut ich konnte, und rief eine vorbeifahrende Droschke, um zu einem Gasthaus in der Portland Street zu fahren, an dessen Namen ich mich zufällig erinnerte. Bei meinem Anblick (der in der Tat komisch genug war, so tragisch das Schicksal auch sein mochte, das diese Kleider verhüllten) konnte der Fahrer seine Heiterkeit nicht verbergen. Ich fletschte die Zähne mit einem Anflug von teuflischer Wut, und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht – zum Glück für ihn – aber noch mehr zum Glück für mich, denn in einem weiteren Augenblick hatte ich ihn sicher von seinem Sitzplatz heruntergezerrt. Als ich in das Gasthaus eintrat, sah ich mich mit so finsterer Miene um, dass die Bediensteten zitterten. Sie wechselten in meiner Gegenwart keinen Blick, sondern nahmen unterwürfig meine Befehle entgegen, führten mich in ein Privatzimmer und brachten mir das nötige Material zum Schreiben. Hyde, der in Lebensgefahr schwebte, war eine mir unbekannte Kreatur, die von unbändiger Wut geschüttelt wurde, die bis zum Mord getrieben wurde und sich danach sehnte, Schmerz zuzufügen. Doch das Wesen war klug. Es beherrschte seine Wut mit einer großen Willensanstrengung. Es verfasste seine beiden wichtigen Briefe, einen an Lanyon und einen an Poole, und damit er einen tatsächlichen Beweis dafür erhielt, dass sie abgeschickt worden waren, schickte er sie mit der Anweisung ab, dass sie eingeschrieben werden sollten. Von da an saß er den ganzen Tag über dem Feuer im Privatzimmer und kaute an seinen Nägeln. Dort aß er zu Abend, allein mit seinen Ängsten sitzend, wobei der Kellner vor seinen Augen sichtlich zitterte, und von da an, als die Nacht vollends angebrochen war, setzte er sich in die Ecke einer geschlossenen Droschke und ließ sich durch die Straßen der Stadt hin und her fahren. Er, sage ich – ich kann nicht ich sagen. Dieses Kind der Hölle hatte nichts Menschliches; nichts lebte in ihm als Furcht und Hass. Und als er schließlich, weil er glaubte, der Kutscher werde misstrauisch, die Droschke verließ und sich zu Fuß, in seinen unpassenden Kleidern, einem Objekt der Beobachtung, mitten unter die nächtlichen Fahrgäste wagte, da tobten diese beiden niederen Leidenschaften in ihm wie ein Sturm. Er ging schnell, gejagt von seinen Ängsten, plapperte vor sich hin, schlich durch die weniger befahrenen Straßen und zählte die Minuten, die ihn noch von Mitternacht trennten. Einmal sprach ihn eine Frau an und bot ihm, glaube ich, eine Schachtel mit Schwefelhölzern an. Er schlug ihr ins Gesicht, und sie floh.

Als ich bei Lanyon zu mir kam, hatte mich das Entsetzen über meinen alten Freund vielleicht etwas berührt: Ich weiß es nicht. Es war jedenfalls nur ein Tropfen auf den heißen Stein, mit dem ich auf diese Stunden zurückblickte. Eine Veränderung war über mich gekommen. Es war nicht mehr die Angst vor dem Galgen, es war der Schrecken, Hyde zu sein, der mich quälte. Ich hatte Lanyons Verachtung zum Teil im Traum erfahren; zum Teil kam ich im Traum in mein eigenes Haus und legte mich ins Bett. Nach den Strapazen des Tages schlief ich in einem tiefen Schlaf, den nicht einmal die Albträume, die mich quälten, zu durchbrechen vermochten. Am Morgen erwachte ich erschüttert, geschwächt, aber erfrischt. Ich hasste und fürchtete noch immer den Gedanken an die Bestie, die in mir schlief, und ich hatte natürlich die schrecklichen Gefahren des Vortages nicht vergessen, aber ich war wieder zu Hause, in meinem eigenen Haus und in der Nähe meiner Medikamente, und die Dankbarkeit für meine Flucht leuchtete so stark in meiner Seele, dass sie fast mit dem Glanz der Hoffnung wetteiferte.

Nach dem Frühstück schritt ich gemächlich über den Hof und genoss die kühle Luft, als mich wieder jenes unbeschreibliche Gefühl überkam, das den Wechsel ankündigte, und ich hatte nur Zeit, mich in den Schutz meines Kabinetts zu flüchten, bevor ich wieder von den Leidenschaften des Hyde übermannt wurde. Es bedurfte bei dieser Gelegenheit einer doppelten Dosis, um mich wieder zu mir selbst zu bringen – und leider! sechs Stunden später, als ich traurig ins Feuer schaute, kehrten die Schmerzen zurück, und das Mittel musste erneut verabreicht werden. Kurzum, von diesem Tag an schien es mir, dass ich nur durch eine große gymnastische Anstrengung und nur unter der unmittelbaren Stimulierung der Droge in der Lage war, das Antlitz von Jekyll zu tragen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit überkam mich das warnende Schaudern; vor allem, wenn ich schlief oder auch nur einen Augenblick in meinem Stuhl döste, erwachte ich immer als Hyde. Unter der Last dieses ständig drohenden Unheils und durch die Schlaflosigkeit, zu der ich mich nun verdammte – ja, die über das hinausging, was ich dem Menschen für möglich gehalten hatte – wurde ich in meiner eigenen Person zu einem vom Fieber zerfressenen und entleerten Wesen, das sowohl körperlich als auch geistig schwach war und nur noch einen Gedanken hatte: das Grauen vor meinem anderen Ich. Aber wenn ich schlief oder die Wirkung der Medizin nachließ, sprang ich fast übergangslos (denn die Schmerzen der Verwandlung wurden von Tag zu Tag schwächer) in den Besitz einer Fantasie, die vor Schreckensbildern strotzte, einer Seele, die vor grundlosem Hass kochte, und eines Körpers, der nicht stark genug schien, um die tobenden Energien des Lebens zu bändigen. Die Kräfte von Hyde schienen mit der Kränklichkeit von Jekyll gewachsen zu sein. Und sicherlich war der Hass, der sie nun trennte, auf beiden Seiten gleich groß. Bei Jekyll war es eine Sache des Lebensinstinkts. Er hatte nun die volle Entstellung jenes Geschöpfes gesehen, das mit ihm einige Phänomene des Bewusstseins teilte und mit ihm bis zum Tode zusammen war. Und jenseits dieser Verbindungen der Gemeinschaft, die an sich den ergreifendsten Teil seines Leids ausmachten, dachte er an Hyde, trotz seiner Lebenskraft, als an etwas nicht nur Höllisches, sondern Anorganisches. Das war das Schockierende daran; dass der Schleim der Grube zu schreien und zu sprechen schien; dass der amorphe Staub gestikulierte und sündigte; dass das Tote, das keine Gestalt hatte, sich die Ämter des Lebens aneignete. Und dies wiederum, dass das aufrührerische Grauen ihm näher war als eine Frau, näher als ein Auge. Es lag in seinem Fleisch, wo er es murmeln hörte und fühlte, wie es um seine Geburt kämpfte, und in jeder Stunde der Schwäche und in der Zuversicht des Schlummers obsiegte es gegen ihn und stieß ihn aus dem Leben. Der Hass von Hyde auf Jekyll war von einer anderen Art. Sein Schrecken vor dem Galgen trieb ihn immer wieder dazu, vorübergehend Selbstmord zu begehen und zu seiner untergeordneten Stellung einer Rolle statt einer Person zurückzukehren, aber er verabscheute die Notwendigkeit, er verabscheute die Niedergeschlagenheit, in die Jekyll nun verfiel, und er ärgerte sich über die Abneigung, mit der er selbst betrachtet wurde. Daher die affenartigen Streiche, die er mir spielte, indem er eigenhändig Lästerungen auf die Seiten meiner Bücher kritzelte, die Briefe verbrannte und das Porträt meines Vaters zerstörte, und in der Tat, hätte er sich nicht vor dem Tod gefürchtet, so hätte er sich längst selbst ruiniert, um mich in den Ruin zu ziehen. Aber seine Liebe zu mir ist wunderbar. Ich gehe noch weiter: Ich, der ich bei dem bloßen Gedanken an ihn erkranke und erstarre, wenn ich mir die Abscheulichkeit und Leidenschaft dieser Anhänglichkeit ins Gedächtnis rufe, und wenn ich weiß, wie sehr er meine Macht fürchtet, ihn durch Selbstmord abzuschneiden, finde ich es in meinem Herzen, ihn zu bemitleiden.

Es ist müßig diese Schilderung fortzusetzen, und die Zeit läßt mich furchtbar im Stich. Niemand hat je solche Qualen erlitten. Und doch brachte die Gewohnheit selbst zu diesen – nein, nicht Linderung – aber eine gewisse Seelenruhe, eine gewisse Duldung der Verzweiflung. Meine Strafe hätte noch jahrelang andauern können, wenn nicht das letzte Unglück eingetreten wäre, das mich endlich von meinem eigenen Gesicht und Wesen getrennt hat. Mein Vorrat an Salz, der seit dem ersten Versuch nie erneuert worden war, begann sich zu erschöpfen. Ich schickte nach einem neuen Vorrat und mischte den Trank. Es folgte das Sieden und die erste Veränderung der Farbe, nicht jedoch die zweite; ich trank es und es war ohne Wirkung. Ihr werdet von Poole erfahren, wie ich London durchwühlt habe. Es war vergeblich. Ich bin jetzt überzeugt, dass mein erster Vorrat unrein war, und dass es diese unbekannte Unreinheit war, die dem Trank seine Wirksamkeit verlieh.

Ungefähr eine Woche ist vergangen, und ich beende diese Erklärung jetzt unter dem Einfluss des letzten der alten Pulver. Dies ist also das letzte Mal, dass Henry Jekyll, abgesehen von einem Wunder, seine eigenen Gedanken denken oder sein eigenes Gesicht (jetzt, wie traurig verändert!) im Glas sehen kann. Ich darf auch nicht zu lange zögern, mein Schreiben zu beenden; denn wenn meine Erzählung bisher der Zerstörung entgangen ist, so war es eine Kombination von großer Vorsicht und großem Glück. Sollten mich die Wirren des Wandels im Akt des Schreibens ergreifen, wird Hyde sie in Stücke reißen. Sollte aber einige Zeit verstrichen sein, nachdem ich sie niedergelegt habe, so wird seine wunderbare Selbstsucht und die Beschränkung auf den Augenblick sie wahrscheinlich noch einmal vor dem Wirken seiner affenartigen Bosheit retten. Und in der Tat hat das Schicksal, das sich uns beiden nähert, ihn bereits verändert und gebrochen. Ich weiß, wie ich in einer halben Stunde, wenn ich diese verhasste Persönlichkeit wieder und für immer einnehmen soll, zitternd und weinend in meinem Stuhl sitzen oder mit der angestrengtesten und ängstlichsten Ekstase des Zuhörens weiterhin in diesem Zimmer (meinem letzten irdischen Zufluchtsort) auf und ab gehen und jedem Laut der Bedrohung Gehör schenken werde. Wird Hyde auf dem Schafott sterben? Oder wird er den Mut finden, sich im letzten Moment zu befreien? Gott weiß es. Ich bin ohne Sorge. Dies ist meine wahre Todesstunde, und was folgen wird, betrifft einen anderen als mich selbst. Hier also, während ich die Feder niederlege und mein Geständnis zu versiegeln beginne, beende ich das Leben des unglücklichen Henry Jekyll.